Lebensperspektiven

Lebensperspektiven

Eine Schülerin mit einem blauen und ein Schüler mit einem roten Anorak stehen nebeneinander, sie sind nur von hinten zu sehen; beide haben einen Rucksack. Sie blicken in einen großen Spiegel, in dem sie vor ihrer Schule stehen. Ob in den Rucksäcken das Richtige fürs Leben eingepackt ist? Im Hintergrund ein Labyrinth mit hohen Mauern: Eine Schülerin überquert ein Drahtseil, eine andere steht im Spagat auf den Mauern, ein Schüler sprüht „Wir haben fertig“ auf eine Mauer, links helfen sich Schülerinnen und Schüler wechselseitig, die Mauern zu überwinden, andere scheinen sich verirrt zu haben. Manche haben sich ganz abgewendet vom Lebenslabyrinth und skaten; ein Mädchen kauert am Boden, an eine Wand gelehnt.

Lebensperspektiven (Wandbild, 1998, Schule Holstenhof, Hamburg-Jenfeld, 10. Klasse. Im Spiegel ist das Schulgebäude zu sehen.

Ein Fassadengemälde als Antwort auf das Hamburger Hungertuch (1998)

 „Armut war Thema des Ethik­­unterrichts in meiner 10. Real­­schul­klasse der Schule Holstenhof in Hamburg-Jenfeld. Um Armut in der Dritten Welt ging es zunächst, um die Lebens­­bedingungen der Menschen dort und um die Ursachen für die weltweite Armut. Doch die Beziehung zu den eigenen Erfahrungen mit Armut, mit Arbeits­­losigkeit, mit den Wohn­­bedingungen im Stadt­t­eil, zu den eigenen Erlebnissen mit Gewalt und Ungerechtig­­keit in der nächsten Umgebung blieben meist unaus­gesprochen. Die Einladung, an dem Projekt (→) Hamburger Hungertuch mit­zuwirken, ermöglichte einen anderen Zugang zum Thema Armut; es gelang, die lebens­­weltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler in den Mittel­­punkt des Unterrichts zu stellen.     

Eine Gruppe besuchte den Künstler Sönke Nissen-Knaack während der Erstellung des Bildes in seinem Atelier. Sie sprachen mit ihm über ihr Lebens­­umfeld und diskutierten mit einigen Studierenden des Universitäts­­seminars über die Inhalte und Elemente des Bildes. Die Diskussion fand ihre Fort­setzung in der Klasse. Der Bericht aus dem Atelier motivierte die anderen Schüler­­innen und Schüler, von ihren Erfahrungen zu sprechen. Angeregt durch die Begegnung mit dem Künstler entstand der Wunsch auf ein eigenes ‚Hunger­bild‘ zu gestalten. Erste Bilder entstanden, als Kommentare und Erläuterungen wurden Texte verfasst, die den Mit­schülern präsentiert wurden. 

Aber es zeigte sich auch, wie schwer es ist, eine bildnerische Sprache zu finden, die geeignet ist, eigene Erfahrungen und Sehn­süchte auszudrücken. Darum wurde mit Sönke Nissen-Knaack vereinbart, dass er und die Studierenden in den Unterricht kommen und zusammen mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam einen Entwurf für ein Wandbild „Lebens­perspektiven“ erarbeiten sollten.  

Die Idee eines solchen Gemäldes fand Anklang im Lehrer­kollegium. Schließlich stellte die Schule eine große Giebel­seite des Schul­gebäudes zur Verfügung, um auf einer Fläche von 8 x 12 Meter ein Fassadengemälde zu gestalten. 

Mehrere Gespräche über die Situation von Jugendlichen im Stadt­teil machen deutlich, welche Elemente das Fassaden­­gemälde haben sollte. Grundlage dieser Gespräche waren Schüler­zeichnungen. Dafür bekamen sie eine Skizze der Giebelwand, in die sie hinein­zeichnen konnten. Die Schülerinnen und Schüler erhielten dann den Auftrag zur Gestaltung einer Pinn­wand mit Zeitung­­ausschnitten, eigenen Zeichnungen, Fotos, Texten etc. Angeregt durch den Künstler und unterstützt durch die Studierenden wurden in Gruppen Entwürfe für die Gestaltung des Fassaden­­gemäldes erarbeitet. Man einigte sich schließlich auf den Entwurf Lebens­perspektiven. Das Wort wurde als Labyrinth gestaltet, als ein lesbares Labyrinth, das von Jugendlichen bewohnt, erobert, erforscht, erlebt wird. Szenen, die an der Wand dargestellt werden sollten, wurde gespielt, nach­gestellt und foto­grafiert, als Dia dann in der gewünschten Größe auf Transparenz­papier projiziert.  

Die Arbeit an der Fassade begann mit der Reinigung. Dann folgte das Malen des Labyrinthes. An­schließend wurden die Szenen hinein­gesetzt, indem die Transparente auf die Wand geklebt und die perforierten Linien mit Farb­puder nach­gezogen wurden. Die Farb­puderlinien wurden dann mit Farbe festgehalten, die Flächen ausgemalt. 

Am Ende des Schuljahres und nach mehr­wöchiger Arbeit weihte die ganze Schule das große Wand­bild Lebens­­perspektiven mit einer fröhlichen Feier ein. Viele Gäste wurden geladen, um unsere ‚Antwort‘ auf das Hamburger Hungertuch kennen­­zulernen, die aus der spezifischen Perspektive der Jugendlichen in diesem Stadtteil gegeben wurde. Zugleich wollten wir mit dieser öffentlichen Veran­staltung andere Gruppen zu anderen Antworten anregen.“ (Gonda Wiget, Projekt­leiterin). 

 

z

Audiowiedergabe

Hier können Sie sich den Inhalt dieser Seite als Audiowiedergabe vorlesen lassen.
Skip to content