Vancouver
Die University of British Columbia wurde 1908 im Westen Vancouvers auf einem Grundstück gebaut, das den Maqueam weggenommen worden war, die zwangsweise umgesiedelt wurden. Ein Künstler hat an verschiedenen Stellen auf dem Campus Schilder aufgestellt, auf denen steht: „Here you are host of the Maqueam“. Auf dem Gelände stehen mehrere Totempfähle und es wird durch das Anthropologische Museum Vancouvers abgeschlossen, in dem in einer beeindruckenden Präsentation die Geschichte, Kolonisierung und aktuelle Lebensbedingungen der First Nations von British Columbia thematisiert werden.
In Kanada waren im Verlauf von etwa einhundert Jahren rund 150.000 Kinder – pejorativ als „Indians“ bezeichnet – zwangsweise in ca. 130 Residental Schools (Internate) oftmals mit äußerster Brutalität erzogen worden („To kill the Indian in the Child“). In den 1970er Jahren bildeten sich überall in Nordamerika die „American Indian Liberation Movements“ heraus, die für bilingualen Unterricht (First Nation Sprache, Englisch) und Selbstbestimmung über die Unterrichtsinhalte („Indian Control of Indian Education“) kämpften. Ab den 1980er Jahren wurden die Residental Schools an die First Nations übergeben. Diese First Nations Schools sind autonome schulische Teilsysteme, in denen rund 500.000 schulpflichtige junge First Nations Kanadas unterrichtet werden. Solche Schulen gibt es auch in den Großstädten.
In der Provinz British Columbia an der Pazifikküste besuchen etwa 20.000 Kinder und Jugendliche eine der 130 First Nations Schools, die meisten bieten alle zwölf Klassenstufen des Regelschulsystems an. Die First Nations Schools haben eigene Lehrpläne, Schulbücher, Unterrichtsmaterialien und Lernsoftware. Ab 2003 wurde an diesen Schulen ein Special Education Program (SEP) eingeführt, sodass Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung in ihren lokalen Schulen gezielt sonderpädagogisch gefördert werden können. Zuvor mussten diese Kinder in weit von ihrem Wohnort entfernt gelegene Sonderschulen mit Internaten wechseln. Es gibt jedoch bislang nur wenige barrierefreie Schulgebäude. In den teilweise sehr abgelegenen „Zwergschulen“ mit manchmal nur 15 Schülerinnen und Schülern kann Fachpersonal für Sonderpädagogik aus Kostengründen oftmals nicht angestellt werden.
Im Jahr 1974 wurde an der Faculty of Education der University of British Columbia (UBC) in Vancouver ein vierjähriger Studiengang „Native Indian Teacher Education Program“ (NITEP) eingeführt. Das Programm ermöglicht jungen First Nations einen Zugang zum Universitätsstudium, denn aufgrund der verbreiteten Armut in den Reservaten können sich viele Familien die Finanzierung eines Studiums nicht leisten. Als gesellschaftlich diskriminierte Gruppe gab es früher auch an den Universitäten ihnen gegenüber erhebliche Ressentiments bis hin zu Rassismus. NITEP versucht mit Stipendien, mit der wohnortnahen Studienorganisation und mit einem Mentorenprogramm zu unterstützen.
Um der Unwissenheit und unzureichenden Selbstreflexion der kanadischen Dominanzgesellschaft gegenüber den First Nations entgegen zu wirken, wurden in den Lehrplänen der Regelschulen aller Provinzen mehr verpflichtende Inhalte über Geschichte, Kultur, Politik und Lebensbedingungen der First Nations aufgenommen. Auch in die Studienpläne der Lehrerbildung sind solche Inhalte integriert worden. Seit 2012 hat die Faculty of Education ein verpflichtendes Modul „Aboriginal Education” für alle Lehramtsstudierenden eingeführt, das vom NITEP verantwortet wird. Die Kurse werden im Team Teaching von den beiden Instituten gemeinsam durchgeführt.
Veröffentlichungen zu Kanada
- Kanada kann auch anders. Vielfältige Schulangebote im „gelobten Land der Inklusion“. In: Zeitschrift für Inklusion, [S. l.], 2016, Ausgabe 4. ISSN 1862-5088. Verfügbar unter: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/397
- „Jugendschulen“ in Kanada. In: Sonderpädagogische Förderung heute 63 (2018) 2, S. 121-131.
- Ein „Gewimmel von Diskursen“ zu Inklusion in Kanada. In: Jahr, David; Kruschel, Robert (Hrsg.): Inklusion in Kanada. Internationale Perspektiven auf heterogenitätssensible Bildung. Weinheim und Basel: Juventa 2019, S. 79-91.
- Kanada. In: Hartwig, Susanne (Hrsg.): Behinderung. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Wiesbaden: Springer 2020, S. 182-186.