Habilitationsschrift
Habilitationsschrift
In der Habilitationsschrift habe ich begonnen, den Sozialraum als einen geteilten Bildungsraum zu theoretisieren: Ein Raum, der sozial gespalten ist (residentielle Segregation) und in dem zugleich Menschen miteinander leben und lernen. Inspiriert von den stadtsoziologischen Ansätzen von Jens Dangschat, Dieter Läpple, Erol Yildiz, Wolf-Dietrich Bukow und Ingrid Breckner, mit denen ich immer wieder in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen kooperieren durfte, konnte ich ein theoretisch schlüssig begründbares mehrdimensionales Raummodell der Bildung entwickeln und anwenden, mit dem sich materielle, regulative, institutionelle und symbolische Dimensionen der sozialräumlichen Gestalt von Bildungssystemen empirisch erfassen lassen.
Am Beispiel des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg habe ich die Reaktionen von Bildungsinstitutionen auf Verräumlichungsprozesse sozialer Ungleichheit untersucht. Die Entwicklung in diesem großstädtischen Quartier ist durch eine über Jahrzehnte wirksame Einwanderungs- und Verarmungsdynamik gekennzeichnet. In historischen und systematisch vergleichenden Studien wurde rekonstruiert, mit welchen bildungspolitischen und schulorganisatorischen Maßnahmen auf die sprachliche, kulturelle und soziale Heterogenität der Schülerschaft reagiert wird.
Diesen Maßnahmen zur Gestaltung eines lokalen Bildungssystems, so die These des Buches, ist eine Grammatik der Schulentwicklung unterlegt, deren Logik und Regeln die Konstruktion von Bildungsräumen strukturieren. In der Entzifferung dieser grammatischen Strukturen werden allgemeine Wirkungen und Probleme der modernen Schule sichtbar. Durch eine konsequente (→ Raumbezogene Schulentwicklung) lassen sich aber auch Lösungsansätze zum Abbau von Bildungsbenachteiligungen gewinnen.
Viel Zeit habe ich im Hamburger Staatsarchiv verbracht, um historische Quellen zur Reaktion der Schulen in Hamburg auf Armut und Migration seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen zu erschließen: Eine 1899 gegründete Schule für polnisch sprachige Jugendliche; Flüchtlingsschulen, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtet wurden; eine 1946 geschaffene Schule für im Krieg und auf der Flucht traumatisierte Kinder, einzigartig in dieser Zeit in Deutschland; Schulprojekte für „schwarze Besatzerkinder“; ein Stadtentwicklungsprojekt, das die Wohn- und Bildungsbedürfnisse von Sinti partizipativ verknüpfte; ein Gymnasium, das in den 1960er Jahren ein intensives Konzept der Schulsozialarbeit entwickelt hatte, ein anderes, das bereits in den 1990er Jahren Geflüchtete auf das Abitur vorbereitete; ab den 1970er Jahren die ersten (→) Schulen der Jugendhilfe in Hamburg für Schulabbrecher, Straßenjugendliche, Roma, funktionale Analphabeten oder afrikanische Jugendliche.
Diese regionale Schulgeschichte „von unten“ weist über die regionalen Grenzen hinaus und deshalb setze ich als Pensionär meine Schulchroniken noch für eine paar Jahre fort.