Habitussensibilität
In der pädagogischen Professionsforschung setzt man sich unter Verwendung des Begriffs „Habitussensibilität“ mit der Frage auseinander, welche Anforderungen sich für das professionelle Handeln aus der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft ergeben. „Habitussensibilität“ ist folglich für eine pädagogische Kommunikation „auf Augenhöhe“ mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen in der Schule notwendig. „Habitussensibilität“ meint, dass Lehrkräfte, Erzieher und Sozialpädagoginnen in ihrem professionellen Handeln sowohl die soziale Situation ihrer Klientel berücksichtigen, als auch ihre eigene soziale Situiertheit als Professionelle reflektieren, wenn Angehörige unterschiedlicher sozialer Milieus ein Arbeitsbündnis schließen wollen.
Folglich ist es in schulischen Arbeitsbündnissen unerlässlich, sich der sozialen Ungleichheit zu stellen, die zwischen den Schülerinnen bzw. Schülern und den pädagogischen Fachkräften besteht, weil diese soziale Asymmetrie jegliche pädagogische Kommunikation präformiert. Mit dieser Problemstellung habe ich mich vor allem in hochschuldidaktischen Projekten im Lehramt befasst. In meinen Seminaren sollte es den künftigen Lehrkräften möglich werden, sich in pädagogischen Settings „den Habitus eines Gegenübers“ (Weckwerth) – zu erschließen, dadurch für ihren eigenen Habitus sensibler zu werden und günstigstenfalls zu beginnen, ihn mit Bezug auf die pädagogische Arbeit umzuformen.
Es lässt sich begründen, dass „Habitussensibilität“ als professionelle Handlungskompetenz der Benachteiligtenpädagogik in der Schule (a) fundiertes Lebensweltwissen über die soziale Lage der Schülerinnen und Schüler und (b) eine nüchterne Selbstverortung der Lehrkräfte in der Weltgesellschaft benötigt, sowie (c) eine Methodologie zur Entwicklung von Schulkonzepten, in denen pädagogische Kommunikation als institutionelle Verantwortung organisiert wird, (d) ergänzt durch aufsuchende Ansätze, um schließlich (e) institutionelle Verantwortlichkeit und die Identifizierung verborgener Barrieren strukturell zu verankern.
In der Seminararbeit versuchte ich die Studierenden zu zwingen, den Schritt von der Wahrnehmung der Lebenssituation von Benachteiligten zur Reflexion der eigenen Verwobenheit in Prozessen der sozialen Ungleichheit zu gehen und sich in konkreten Arbeitsbündnissen mit Ungleichheiten auseinanderzusetzen. Dies kann nachweislich besonders gut in (→) Pädagogischen Praxisprojekten gelingen, aber auch in einzelnen Seminarsitzungen können nachhaltige Denkanstöße und nachgerade existenzielle Irritationen bei den Studierenden ausgelöst werden. Zusammen mit Uta Wagner, Tobias Hensel und Frauke Meyer haben wir über Jahre hierfür einen Fundus an Materialien, didaktischen Fundstücken, dialogischen und provokativen Methoden entwickeln können, die wir teilweise auch publiziert haben. Maximilian Thinnes hat über all dies sogar eine (→) Dissertation geschrieben.
Veröffentlichungen zur Habitussensibilität
- Fördern will gelernt sein. Pädagogische Praxisprojekte – ein innovatives Element universitärer Ausbildung. (Zusammen mit Robert Bernhardt und Stefanie Rinck-Muhler). Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag 2014.
- Praxisprojekte als hochschuldidaktisches Lehr-Lern-Format. In: Bernhardt, Robert; Rinck-Muhler, Stefanie; Schroeder, Joachim (Hrsg.): Fördern will gelernt sein. Pädagogische Praxisprojekte – ein innovatives Element universitärer Ausbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag 2014, S. 13-20.
- Sozialpädagogische Praxis im Lehramtsstudium. In: Bernhardt, Robert; Rinck-Muhler, Stefanie; Schroeder, Joachim (Hrsg.): Fördern will gelernt sein. Pädagogische Praxisprojekte – ein innovatives Element universitärer Ausbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag 2014, S. 147-153.
- Begleitung der Alltagsbegleitung. (Zusammen mit Robert Bernhardt). In: Bernhardt, Robert; Rinck-Muhler, Stefanie; Schroeder, Joachim (Hrsg.): Fördern will gelernt sein. Pädagogische Praxisprojekte – ein innovatives Element universitärer Ausbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag 2014, S. 155-171.
- Die Universität als inklusiver Lernort. Eine Grundbedingung zur Reform der Lehrerbildung im sonderpädagogischen Lehramt in Hamburg. (Zusammen mit Sven Degenhardt). In: Sonderpädagogische Förderung heute 63 (2018) 3, S. 260-270.
- Vom Schulsystem lernen? Über einige Fehler, die man an den Hochschulen nicht wiederholen sollte. In: Themenheft Flucht & Studium. standpunkt : sozial (2018) 2, S. 41-47.
- Annäherungen an Lebenslagen und Biografien junger Geflüchteter – eine unabdingbare Voraussetzung für eine pädagogische Kommunikation „auf Augenhöhe“. In: ders. (Hrsg.): Geflüchtete in der Schule. Vom Krisenmanagement zur nachhaltigen Schulentwicklung. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2018, S. 13-36.