Kosovo
Kosovo (2009-2011)
Gutachter und Kurzzeitexperte im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu „Stand, Entwicklungen, Bedarfe und Empfehlungen zum Schwerpunkt Mathematik im Grundbildungssystem in Kosovo“
Kosovo war 2008 unabhängig geworden und es wurde sogleich eine Schulreform initiiert. Die Abteilung Grundbildung der GIZ in Prishtina engagierte sich in einem breiten Programm „Implementation Plan: Kosovo Curriculum Framework“ mit einem größeren Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte. Meine Aufgabe war es, die aktuelle Curriculumdiskussion in Kosovo hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Fach Mathematik auszuloten sowie inhaltliche Ansatzpunkte und Instrumente der Implementierung eines entsprechenden Fachlehrplanes zu eruieren.
Hierzu habe ich eine ausführliche Analyse und Bewertung des neuen Curriculums für Mathematik erstellt und die verfügbaren Schulbücher für das Fach Mathematik analysiert. In vielen Gesprächen im Ministerium, in den kommunalen Schulverwaltungen und mit Lehrkräften hatte ich Informationen zum Stand der Lehrerbildung zusammenzutragen und Fortbildungsstrategien vorzuschlagen sowie ein Arbeitsprogramm zum Fach Mathematik abzuleiten und die Durchführung in einem Zeitplan zu strukturieren.
Interessant fand ich, dass im Rahmenlehrplan der Begriff Inklusion schon damals in einem breiten Verständnis gebraucht wurde. Nicht nur Kinder mit einer Behinderung sollten eine ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten angemessene Förderung erhalten, sondern es sollten auch sprachliche Minoritäten gefördert werden. Die Umsetzung der sonderpädagogischen Förderung bzw. die Integration behinderter Kinder gestaltete sich im Kosovo jedoch schwierig, denn hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass Fachkräfte (Sonderschullehrkräfte, Erzieherinnen, Pflegepersonal) an den Schulen arbeiten oder dass die einzelnen Schulen durch Förderzentren unterstützt werden. Die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien in Blindenschrift, die Vermittlung von Unterrichtsinhalten in Gebärdensprache oder die Integration von Kindern mit einer geistigen Behinderung war damals nicht nur im Mathematikunterricht allenfalls in Einzelfällen möglich.
Unklar war auch die Zukunft des bilingualen Unterrichts. Im Kosovo beherrschen türkisch-, bosnisch-, roma- und serbischsprachige Kinder oftmals das Albanische bereits bei der Einschulung. Für diese zweisprachig sozialisierten Schülerinnen und Schüler sollte es somit kein großes Problem sein, das schulgesetzlich beschlossene Unterrichtssprachenmodell auch im Mathematikunterricht anzuwenden. Die in Klassen für ethnisch-sprachliche Minoritäten eingesetzten Lehrkräfte sind ebenfalls zweisprachig und die Klassengröße ist auf 15 Schüler herabgesetzt, die Unterrichtssituation war somit günstig.
Auch die aus den Asylländern zurückgekehrten Kinder, so hieß es in den Gesprächen, beherrschten angeblich das Albanische so gut, dass sie in der Schule problemlos Anschluss finden könnten. Diese Informationen beruhten jedoch durchweg auf Beobachtungen und Alltagserfahrungen. Von aus Deutschland rückkehrenden Kindern wussten wir aber, dass diese teilweise gar nicht in Kosovo geboren waren und Albanisch in der deutschen Schule oftmals nicht gelehrt wurde. Somit war zu den realen Sprachkompetenzen dieser angeblich zweisprachigen Kinder wenig bekannt wie auch nicht klar war, ob sich mögliche Sprachbarrieren im Mathematikunterricht auf den Lernerfolg auswirken.