Opus Magnum
Opus Magnum
Schulen für schwierige Lebenslagen. Studien zu einem Sozialatlas der Bildung. Münster: Waxmann Verlag 2012.
Im Jahr 2011 erhielt ich als erster Erziehungswissenschaftler in Deutschland das Opus Magnum Stipendium, das die VolkswagenStiftung und die Thyssen Wissenschaftsstiftung vergeben. Ein Jahr lang konnte ich durch Deutschland reisen und habe Straßenschulen, Bahnhofsschulen, Lernwerkstätten oder Fernschulen, Lagerschulen, eine Schule für Geflüchtete, Gefängnisschulen, Hospizschulen, Therapieschulen für drogenkonsumierende Jugendliche, Produktionsschulen, Schülerfirmen und Schulen für Kinder beruflich Reisender, für Teenager-Mütter, für Roma oder für Sinti, für Geflüchtete oder Schulen für Schulverweigerer besucht. In diesen Bildungseinrichtungen habe ich mit den jungen Menschen über ihre Erfahrungen gesprochen, mit Lehrkräften, die schulpädagogischen Begründungen für ihre Konzepte diskutiert, im Unterricht hospitiert und in Archiven recherchiert – und all dies schließlich in einer Monografie beschrieben und theoretisiert.
Die Reaktion der Fachöffentlichkeit auf dieses Buch war zweigeteilt: Die einen waren begeistert, zum ersten Mal einen solchen breiten und differenzierten Ein- und Überblick zu diesem wenig beachteten Teilsystem des Bildungswesens zu erhalten, das neben dem Regel- und dem Sonderschulsystem die „dritte Säule“ des Bildungswesens ist. In diese Einrichtungen gelangen ältere Kinder und vor allem Jugendliche, wenn die Lehrkräfte der inklusiven Bildungsstätten oder der behinderungsorientierten Sonderschulen sie nicht (mehr) fördern können. Da die Finanzierung und Trägerschaft der Schulen für schwierige Lebenslagen überwiegend aus der gesetzlichen Kinder- und Jugendhilfe erfolgt, ist es gerechtfertigt, diese Einrichtungen als Jugend(hilfe)schulen zu bezeichnen.
Etliche Kolleginnen und Kollegen kritisierten indes, teilweise nachgerade wütend, dass ich in Zeiten der Inklusion mit dem Buch das völlig falsche bildungspolitische Zeichen gesetzt hätte. Empörung löste vor allem meine in dem Buch begründete Prognose aus, dass mit fortschreitender Umsetzung der Inklusion im Schulsystem zugleich dieses Teilsystem stark anwachsen werde. Denn es war schon 2011 abzusehen, dass es im „inklusiven“ Regelsystem noch für viele Jahre nicht gelingen wird, alle sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler zu halten. Da damals immer mehr Sonderschulen aufgelöst wurden, die solche Kinder und Jugendlichen bisher aufgenommen hatten, würde man, so meine Annahme, kurz- und mittelfristig weitere Jugendschulen einrichten müssen. Und so ist es ja dann auch gekommen.
Meine empirischen Forschungen und schultheoretischen Thesen wurden in zwei (→) Kooperativen Graduiertenkollegs und vor allem in den (→) Dissertationen von Cornelia Sylla, Uta Wagner und Tobias Hensel fortgeführt. Ich selbst habe meine Überlegungen im internationalen Ländervergleich überprüft. Eine genauere Befassung mit dem „Inklusionsweltmeister“ Finnland führte zutage, dass es dort kaum mehr Sonderschulen, aber etliche Jugendschulen gibt, mit denen man in etwa auf dieselben Probleme reagiert wie in Deutschland. Auch in Kanada, in Deutschland gerne mal als „das gelobte Land der Inklusion“ bejubelt, finden sich nur noch sehr wenige Sonderschulen, aber jede Menge Jugendschulen: Schulen für Teenager-Eltern, Schulverweigerer, Suchtkranke, Obdachlose, First Nations (→ Vancouver), für schwarze Jugendliche (→ Toronto), für junge Menschen ohne Jobperspektiven.
Die Forschungsergebnisse habe ich in einigen wissenschaftlichen Aufsätzen publiziert und vor allem in dem Online-Lexikon „Jugendhilfeschulen.de“ öffentlich und kostenlos zugänglich gemacht.
Pressestimmen
Mit einfühlsamen Berichten und umsichtigen Analysen wird (teilweise erschreckend) deutlich, dass „die Schule“ viele Kinder und Jugendliche allenfalls dann erreichen kann, wenn sie sich auf sehr spezifische Konstellationen einlässt und erst einmal zu verstehen versucht, was das Besondere ausmacht.
Jörg Schlömerkemper in: PÄDAGOGIK, 3/2013
Der Verfasser ist seinem Ziel gerecht geworden, die Genese, Formenvielfalt und Gestaltungsmuster spezieller schulischer Einrichtungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche herauszuarbeiten. Besonders gelungen ist die Verknüpfung von theoretischen Konzepten mit Erfahrungsberichten aus dem Besuch der Einrichtungen.
Manfred Baberg auf: www.socialnet.de